Wir haben einen neuen Namen!
Im Laufe der Public Climate School (PCS) haben wir begonnen, uns tiefergehend mit der Problematik von Fridays for Future im Globalen Norden³ als einer größtenteils weißen¹ und eurozentrischen² Bewegung auseinanderzusetzen. Es gibt zwar auch in Deutschland Aktivist*innen of Colour¹, diese sind aber in der Bewegung unterrepräsentiert. Außerdem werden Fridays-for-Future-Bewegungen in Ländern des Globalen Südens³ kaum beachtet oder sogar aktiv unsichtbar gemacht.
Der Name ist Symptom dieser Problematik und schließt Menschen aus.
Auslöser für unsere Auseinandersetzung mit dieser Thematik war, dass wir bei der Public Climate School von BIPoC¹ Aktivist*innen und der Studentischen Vollversammlung, die während der PCS tagte, dazu aufgefordert wurden, unseren Namen zu ändern. Der Vorwurf stieß in einem weiß dominierten Raum auf starke Gegenrede und wurde dementiert. Auch diese Situation ist symptomatisch für die Problematik, mit der wir uns hier in diesem Dokument, als auch darüber hinaus, auseinandersetzen.
Der Aufforderung unseren Namen zu ändern wollen wir hiermit nachkommen, da dies ein symbolträchtiger erster Schritt ist.
Links FU Studi-Gruppe:
Warum ist der Name „Fridays for Future“ problematisch?
„Die Klimakrise bedroht unser aller Zukunft. Um unsere Zukunft zu bewahren, müssen wir jetzt handeln.“ In diesen beiden Sätzen liegt die Erzählung der deutschen Klimabewegung, die sich ausgehend von Greta Thunbergs Schulstreiks „Fridays for Future“ nennt. Auf dem Globalen Klimastreik am 20. September hielt die Aktivistin Rebecca Abena Kennedy-Asante vom BPoC Environmental and Climate Justice Kollektiv Berlin eine Rede. Sie sagt darin: „Für uns heißt diese Veranstaltung nicht Fridays for Future. Für uns heißt diese Veranstaltung Fridays for Past, Present and Future, weil der Globale Norden³ uns und unseren Familien die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft klaut.“ In einem Interview erklärt sie: „Bei Fridays for Future gehen mehrheitlich weiße, privilegierte junge Menschen auf die Straße und demonstrieren für ihre Lebensgrundlagen in der Zukunft. Das ist nur ein Teil der Perspektive von Schwarzen¹ Menschen und People of Colour. Denn die Lebensgrundlagen von Menschen im Globalen Süden werden schon seit Jahrhunderten zerstört. Unser Haus brennt schon seit 500 Jahren, denn Versklavung und Kolonialismus gehen mit der Zerstörung der Umwelt und dem Raubbau an Ressourcen einher. Auch in der Gegenwart brennen Häuser und Wälder in Angola und dem Amazonas. Deshalb ist es für uns nicht nur Fridays for Future.“
Klimaaktivismus „for Future“ macht nicht deutlich, dass der Globale Norden von der Klimakrise viel weniger betroffen sein wird als die meisten Länder im Globalen Süden, obwohl der Globale Norden ein Vielfaches mehr zu ihrer Verursachung beiträgt. Diesen Namen kann die deutsche Klimabewegung nur tragen, weil die meisten Aktivist*innen von Fridays for Future bis jetzt selbst kaum betroffen sind. Millionen anderer Menschen waren und sind jedoch bereits in ihrer Existenz bedroht. Diese Realität wird größtenteils ausgeblendet. Die jahrhundertealte koloniale Ungerechtigkeit setzt sich heute mit ungeheurer Gewalt fort. Globale Verantwortung und der Kampf gegen die krasse Ungerechtigkeit, die die Klimakrise schon seit Jahrzehnten hervorruft, muss zur zentralen Motivation für unseren Aktivismus werden. Wir gehen deswegen nicht mehr nur für unsere Zukunft auf die Straße, sondern für Klimagerechtigkeit. Fridays for Climate Justice!
Was heißt „Climate Justice“ für uns?
Die Forderung nach Climate Justice, Klimagerechtigkeit, muss unsere Antwort auf die Klimakrise sein, womit wir den Fokus auf soziale und politische Herausforderungen lenken wollen.
Zwischen Verursacher*innen der Klimakrise und den am meisten Betroffenen besteht eine große Ungerechtigkeit. Die Klimakrise wird vor allem von denjenigen Menschen vorangetrieben, die in gesellschaftlichen Macht- und Diskriminierungsstrukturen eine privilegierte Position haben. Jedoch sind es genau die Menschen, die in diesen Strukturen eine depriviligierte Position haben, die die Folgen am stärksten gespürt haben, spüren und spüren werden.
Zum einen ist es, wie oben bereits weiter ausgeführt, der Globale Norden, der auf Kosten des Globalen Südens ungehindert CO2 produziert, während es vor allem letzterer ist, der die Folgen am frühesten und am deutlichsten spürt und schon gespürt hat. Die Klimakrise ist auf ähnliche Weise auch mit anderen Macht- und Diskriminierungsstrukturen wie beispielsweise dem Patriarchat⁴, ableistischen⁵, klassistischen⁶, rassistischen⁷, oder antisemitischen⁸ Strukturen (diese Auflistung kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben) verschränkt. Die Klimakrise wurde vor allem von privilegierten Personen im Patriarchat vorangetrieben, während es die vom Patriarchat benachteiligten Personen und jene, die unter schwierigen sozioökonomischen Bedingungen leben, sind, auf deren Rücken die Krise verstärkt ausgetragen wird. Die Klimakrise verstärkt also bestehende Ungerechtigkeits- und Unterdrückungsstrukturen. Damit wollen wir keine Kritik an einzelnen Individuen üben, sondern auf die strukturellen Untersdrückungsmuster hinweisen, die zu dieser Situation geführt haben und nun Einflüsse auf die individuelle Situation der Menschen in der Klimakrise haben.
Die Klimakrise schreibt eine Geschichte fort, die unserer nichtmenschlichen Mitwelt jedwede Rechte abspricht. Der Tier- und Pflanzenwelt eine Stimme zuzugestehen – auch das bedeutet für uns Klimagerechtigkeit.
Wenn wir Klimagerechtigkeit fordern, fordern wir, dass diese Tatsachen in der öffentlichen Debatte anerkannt werden und Klimagerechtigkeit intersektional⁹ verstanden und als Anspruch und Lösung im Kampf gegen die Klimakrise angestrebt wird. Das bedeutet auch, dass Maßnahmen gegen die Klimakrise und Räume, in denen gegen diese gekämpft wird, diskriminierungskritisch hinterfragt werden müssen, um für möglichst viele Menschen offen zu sein.
Erklärungsvorschläge:
1 – Schwarz, Weiß, BIPoC:
Schwarz, BIPoC (Blacks, Indigenous and People of Colour) und weiß bezeichnen politische und soziale Konstruktionen und sind nicht als biologische Eigenschaften zu verstehen. Sie beschreiben also nicht Hautfarben von Menschen, sondern ihre Position als diskriminierte oder privilegierte Menschen in einer durch Rassismus geprägten Gesellschaft. Während sich mit Schwarz und BIPoC auf eine emanzipatorische Selbstbezeichnung bezogen wird, wird weiß explizit benannt, um die dominante Position zu kennzeichnen, die sonst meist unausgesprochen bleibt.
Nach “Mit kolonialen Grüßen” – Glokal, https://www.glokal.org/wp-content/uploads/2013/09/BroschuereMitkolonialenGruessen2013.pdf
2 – Eurozentrismus:
Der Begriff Eurozentrismus beschreibt eine Wissensstruktur, in der europäische Werte und Normen das unreflektierte Zentrum des Denkens und Handelns bilden. Die ganze Welt wird entlang von diesen Werten analysiert, kategorisiert, bewertet und hierarchisiert. Eurozentrismus ist dabei häufig unsichtbar und versteckt in vermeintlich objektivem Wissen über die Welt. Eurozentrismus ist gewaltvoll und eng verwoben mit kolonialen Macht- und Unterdrückungsstrukturen.
3 – Globaler Süden und Globaler Norden:
Globaler Norden und Globaler Süden sind keine geografischen Kategorien.
“Mit dem Begriff Globaler Süden wird eine im globalen System benachteiligte gesellschaftliche, politische und ökonomische Position beschrieben. Globaler Norden hingegen bestimmt eine mit Vorteilen bedachte Position. Die Einteilung verweist auf die unterschiedliche Erfahrung mit Kolonialismus und Ausbeutung, einmal als vor allem Profitierende und einmal als vornehmlich Ausgebeutete. ”
Aus “Mit kolonialen Grüßen” – Glokal, https://www.glokal.org/wp-content/uploads/2013/09/BroschuereMitkolonialenGruessen2013.pdf
4 – Patriarchat:
Das Patriarchat ist ein System, das strukturell Menschen aufgrund ihres Geschlechts unterdrückt. In diesem System wird der dya¹⁰ cis¹¹ Mann mit seinen biologisierten Eigenschaften als Norm angesehen. Das System beruht auf und bestärkt u.a. eine konstruierte Zweigeschlechtlichkeit und Unsichtbarmachung von anderen Geschlechtern, die Biologisierung von Geschlecht, eine Aufwertung von als männlich bezeichneten Eigenschaften, eine Abwertung als weiblich konnotierter Eigenschaften und eine als Norm angesehene Heterosexualität.
5 – Ableismus:
Ableismus beschreibt die Diskriminierung von Menschen mit Be_hinderung. Es gibt eine normative Vorstellung davon, was Menschen leisten oder können müssen. Wer von dieser Norm abweicht, wird als be_hindert gekennzeichnet. Der Begriff Ableismus betont die Ungleichbehandlung, Grenzüberschreitungen und stereotypen Zuweisungen, die Menschen wegen ihrer Be_hinderung erfahren.
6 – Klassismus:
Klassismus beschreibt strukturelle Diskriminierung aufgrund von sozioökonomischer Herkunft oder sozioökonomischer Position, die verbunden ist mit Finanzen, Bildung, sozialem und räumlichem Umfeld, verinnerlichten Gewohnheiten und Einstellungen.
7 – Rassismus:
Rassismus ist die Verknüpfung von Vorurteil mit institutioneller Macht. Entgegen der (bequemen) landläufigen Meinung ist für Rassismus eine “Abneigung” oder “Böswilligkeit” gegen Menschen oder Menschengruppen keine Voraussetzung. Rassismus ist keine persönliche oder politische “Einstellung” (und damit unabhängig einer subjektiven Intention), sondern ein institutionalisiertes System, in dem soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen für weißen Alleinherrschaftserhalt wirken. Rassismus ist ein globales Gruppenprivileg, das weiße Menschen und ihre Interessen konsequent bevorzugt.
Nach Noah Sow in “Wie Rassismus aus Wörtern spricht – (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache – Ein kritisches Nachschlagewerk” S. 37
Weiterführende Literatur:
„Exit Racism” – Tupoka Ogette
„Deutschland Schwarz Weiß” – Noah Sow, https://open.spotify.com/album/4Bra5l9IELSt1OGVQlqLvM?si=cIqFt_ZwQU6VJPB3mcScig
„Wie Rassismus aus Wörtern spricht – (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache – Ein kritisches Nachschlagewerk“ – Noah Sow
„Rassismus als ideologischer Diskurs” – Stuart Hall in “Das Argument” – Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaft S.913ff., http://www.neu.inkrit.de/mediadaten/archivargument/DA178/DA178.pdf
8 – Antisemitismus:
Antisemitismus lässt sich als Diskriminierung gegen Jüd*innen und Hass auf alles, was im antisemitischen Weltbild als jüdisch bezeichnet wird, beschreiben. Im Antisemitismus wird die vermeintliche Gruppe der Jüd*innen unabhängig von einer tatsächlichen Religionsangehörigkeit konstruiert.
Besonders im modernen Antisemitismus werden Jüd*innen als Personifizierung des Kapitalismus angesehen. Dies führt dazu, dass – besonders, aber nicht nur in Krisenzeiten des Kapitalismus – Jüd*innen oder antisemitisch konnotierte Feindbilder für Krisen, die ihre Ursache im kapitalistischen System haben, verantwortlich gemacht werden.
Weiterführende Literatur:
“Nationalsozialismus und Antisemitismus; ein theoretischer Versuch” – Moishe Postone, http://www.krisis.org/1979/nationalsozialismus-und-antisemitismus/
„Logik und Struktur des Antisemitismus. Eine Einführung” – Stephan Grigat, http://copyriot.com/sinistra/reading/grig-f2.html
https://homepage.univie.ac.at/thomas.schmidinger/php/texte/antisemitismus_struktureller_antisemitismus.pdf
9 – Intersektionalität:
Intersektionalität bezieht sich auf die Berücksichtigung verschiedener Diskriminierungsformen und die spezifische Art und Weise, wie diese zusammenwirken.
Weiterführende Literatur:
“Die Intersektion von „Rasse“ und Geschlecht demarginalisieren: Eine Schwarze feministische Kritik am Antidiskriminierungsrecht, der feministischen Theorie und der antirassistischen Politik” – Kimberly Crenshaw, https://chicagounbound.uchicago.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1052&context=uclf
10 – dya:
Ein dya Mensch ist ein Mensch, dessen Körper bei der Geburt den binären Geschlechternormen entspricht.
11 – cis:
Ein cis Mensch ist ein Mensch, dessen Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht übereinstimmt.